Aus Zeitknappheit (berufliche Überlastung) etwas kürzer als sonst bei mir üblich:
1. Die maximale Auflösung des Auges (bezogen auf die Trennung zweier Punkte - man kann Auflösung auch anders definieren und kommt dann zu anderen Zahlen) von ca. 1 Bogenminute schafft das Auge nur unter idealen Bedingungen, nämlich ausgeruht bei sehr guter Helligkeit (über 1000 cd/mˆ2 Leuchtdichte) und einer Pupillengröße von ca. 2 bis 2,5 mm. Wen es weniger hell ist und sich Ihre Pupille weiter öffnet, geht das Auflösungsvermögen schnell auf 2 bis 4 Bogenminuten zurück, vor allem wegen sphärischer Aberration und Astigmatismus des Auges. Wenn Sie z.B. zu dieser Jahreszeit nachmittags um 4 Uhr (Winterzeit) vielleicht schon 3,5 mm große Pupillen haben, werden Sie aber bestimmt noch nicht den Eindruck bekommen, „unscharf“ zu sehen, obwohl Ihr Auflösungsvermögen dann vielleicht nur 3 Bogenminuten beträgt.
2. Wenn Sie bei ca. 50facher Vergrößerung fürchten, in den kritischen Bereich von 1,8 Bogenminuten zu kommen, haben Sie bei 77 mm Eintrittspupille ja nur noch ca. 1,5 mm Austrittspupille, und da ist das Auflösungsvermögen des Auges ebenfalls schlechter als bei 2 bis 2,5 mm, diesmal jedoch wegen der Beugung. Und je mehr Sie vergrößern, desto kleiner wird die AP und um so größer wird die Beugung im Auge. Sie merken also von „leerer Vergrößerung” nichts, denn Ihr Spektiv bleibt, wenn es ein gutes Spektiv ist (das Apo-Televid 77 ist ein solches), immer der Leistungsfähigkeit Ihres Auges eine gute Nasenlänge voraus – zumindest in der Bildmitte.
3. Wenn wir von einer Auflösung von z.B. 1,8 Bogensekunden oder 1,5 Bogenminuten reden, so klingt das immer so, als wären alle groberen Strukturen messerscharf und alles, was feiner ist, nur graue Matsche. Das ist nicht der Fall, sondern der Übergang von knackigem Kontrast zu flauem Grau ist fließend, und im Bereich der etwas willkürlich (wenn auch über die Airy-Scheibe begründbar) festgelegten Auflösungs-„Grenze“ liegt der Kontrast bei normalen Motiven – nicht bei Punktförmigen Sternen vor schwarzem Nachthimmel – schon ziemlich tief. Was da Ihren Schärfeeindruck wesentlicher als die Auflösungsgrenze bestimmt, ist der Kontrast bei ca. 4- bis 10fach groberen Strukturen! Das ist übrigens auch bei Fotos so: Bei Kleinbild etwa wird der Schärfeeindruck viel mehr vom Kontrast bei 10 bis 20 Lp/mm (im Negativ) bestimmt als von der vielelicht bei 70 bis 90 Lp/mm liegenden Auflösungsgrenze. Wäre das nicht so, würde die ganze vielgeübte „Nachschärferei” mit Unscharfmaskieren bei Photoshop überhaupt nicht funktionieren! Denn da fügen Sie keineswegs fehlende Feinstrukturen hinzu, sondern erhöhen nur den Kontrast an vergleichsweise groben Strukturen durch einen gesteigerten „Kanteneffekt“.
4. Bei einem 85- oder 100-mm-Spektiv bessern sich - entsprechende optische Qualität vorausgesetzt – die Verhältnisse fürs Auge schon deshalb, weil Sie bei 50facher Vergrößerung eine AP von 1,7 mm bzw. gar 2 mm haben und dann das Auge ein klein wenig höher auflösen kann. So verschiebt sich die maximal sinnvoll nutzbare Vergrößerung etwas weiter nach oben. Aber auch hier werden Sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch (also nicht als astronomisches Teleskop zur Betrachtung punktförmiger Sterne) nie den Eindruck einer „leeren Vergrößerung” bei den mit diesen Spektiven aufgrund der verfügbaren Okularbrennweiten erzielbaren Maximalvergrößerungen bekommen, und auch hier entscheidet über Ihren subjektiven Schärfeeindruck sehr viel mehr, wie hoch der Kontrast bei den groberen Strukturen ist.
Erfreuen Sie sich an der hervorragenden Leistung dieser Instrumente, statt darüber nachzudenken, wo überall die Gefahr lauern könne, daß optische Grenzen sichtbar werden!
Walter E. Schön