Vorab möchte ich erneut betonen, daß ich kein unbedingter Verfechter von Kurzbezeichnungen bin. Aber sie entstehen hin und wieder, weil der Gebrauch in einer schreib- und mundfaulen Gesellschaft als praktisch empfunden wird. Es ist dann immer wünschenswert, daß eine neue Kurzbezeichnung selbsterklärend ist, wozu u.a. eine Herleitung aus deutschen Wörtern beiträgt, sofern dabei nicht lange Wortungeheuer entstehen. Bei der „Fernglasfotografie“ wäre das nicht der Fall, aber „Binografie“ ist doch um zwei Silben kürzer.
Außerdem hätte „Binografie“ eine viel bessere Chance, sich – ggf. in der Schreibung mit ph statt f und mit y am Ende – auch in anderen Sprachen zu manifestieren, z.B. im Englischen als „binography“. Wer weiß, was geschehen wird, wenn sich bei uns jetzt das (auch von mir akzeptierte) Wort „Fernglasfotografie“ durchsetzen sollte, aber auf Malaysia ein Herr Pi, Pa oder Poh die englische Bezeichnung „binography“ erfindet und diese dann über die Werbefuzzis und Life-style-Yuppies als „Binografie“ dann doch wieder (nun aber als Anglizismus) den Weg zu uns findet und die „Fernglasfotografie“ aufs Altenteil schickt, weil dieses muffig-deutsche Wort echt uncool nach Freizeitbeschäftigung von grauen Panthern riecht.
Ihr Widerstand ist von mir teilweise nachvollziehbar, aber erscheint mir teilweise auch übertrieben. Denn es gibt viele andere Beispiele etablierter Kurzbegriffe, auf die man Ihre Kritik leicht umschreiben könnte. Ich will nur das von den meisten heutigen Deutschen gar nicht mehr als „fremdes“ Wort empfundene „Auto“ nennen. So richtig logisch ist dieses Wort ja nicht, das als Abkürzung des bildungsbürgerlich konstruierten Worts „Automobil“ entstand, dessen beide Wortbestandteile nicht der deutschen, sondern der lateinischen Sprache entstammmen und daher gemäß Ihrer und Herrn Champollions Argumentation für normale Menschen un- oder zumindest schwer verständlich sein sollten (besser wäre demnach das Wort „Selbstfahrer“ gewesen, wie man es in der „Selbstfahrlafette“ der Artillerie findet). In der kompletten Bezeichnung „Automobil“ ist noch erkennbar, was gemeint ist, wenngleich nur dem, der Latein gelernt hat: von selbst (= ohne vorgespannte Pferde oder Ochsen) beweglich (= fahrend). Aber da dem Volk die viersilbige Zusammensetzung noch zu lang war, mußte ein Wortbestandteil entfallen, und leider war es der falsche: „Mobil“ wäre treffender für das ohne Pferd auskommende Gefährt, weil es zu allererst „beweglich“ ist und erst in zweiter Linie „von allein“ oder „von selbst“. Auch „Aumo“ wäre denkbar gewesen, in dem der Anfang beider Wortbestandteile steckt. Aber „Auto“ hat sich durchgesetzt, weil das ungebildete Volk im Gegensatz zu Ihnen nicht die eine oder andere Gehirnhemisphäre befragte, sondern einfach und unbedacht mitten im Wort, als es „jetzt reicht's“ meinte, Schluß gemacht, den Rest einfach abgeschnitten hat.
Die Argumentation gegen „Auto“ könnte sogar bis hin zu Ihrem Postscriptum (Zitat: „Wenn ich im Zweifingersystem tippe, bin ich dann nicht auch in gewisser Weise "Binograf"?“) ähnlich wie bei Ihnen und sogar noch überzeugender gegen „Binografie“ geführt werden, weil nichts weit hergeholt werden muß [zwei Finger (?) —> bin] — siehe unten. Denn „Bino“ ist unter Fernglasliebhabern ein gebräuchlicher, nicht mehr erklärungsbedürftiger Begriff, während ich mir nicht vorstellen kann, welche Gruppe von Menschen mit „Bin“ oder „Bino“ auf Anhieb die Vorstellung von zwei Fingern verbindet.
Walter E. Schön
PS.: Wenn ich Auto fahre, bin ich dann nicht auch in gewisser Weise ein „Autist“?