Zitat: „Wenn ich es richtig verstehe, ist ein "Projektiv" eine Art Makro-Objektiv. Wieso werden in der Fachliteratur (Baader Planetarium) diese Projektive dann als afocale Systeme beschrieben?“
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Das konnte ich mir zunächst gar nicht vorstellen, weil ich weiß, daß Herr Baader sich mit Teleskopoptik gut auskennt. Also habe ich nachgesehen, was auf der Baader-Website steht, und siehe da, es ist dort von etwas ganz anderem die Rede als hier!
Hier geht es darum, mit einem Kameragehäuse (also OHNE Objektiv!) durch ein Spektiv zu fotografieren. Dazu ist es nötig, daß das Spektiv ein reelles Bild in der Film-/Sensorebene erzeugt.
Ein Spektiv erzeugt aber so, wie es zur visuellen Beobachtung benutzt wird, ein virtuelles Bild, und wenn das Spektiv so fokussiert wird, das dieses virtuelle Bild in der Entfernung unendlich erzeugt wird (das Auge muß dann bei visueller Beobachtung fernakkommodiert = unakkommodiert sein), dann handelt es sich um ein afokales System. So kann es also zusammen mit einem Kameragehäuse (ohne Objektiv) nicht funktionieren.
Nimmt man das Okular vom Spektiv ab, dann erzeugt das Spektiv bzw. das, was davon übrig bleibt, zwar ein reelles Bild, wie wir es haben wollen, aber leider am falschen Ort, nämlich einige Zentimeter tief drin im Spektiv. Um dieses Bild nach außen zu verlegen, setzen wir nun eine Art Makroobjektiv zur nochmaligen Abbildung (Projektion) dieses wie ein durchleuchtetes Dia wirkenden Luftbildes in die Film-/Sensorebene der Kamera ein. Dieses spezielle Makroobjektiv, das dabei das Bild auch noch etwa um den Faktor 2 vergrößert, also quasi brennweitenverlängernd wirkt, nennen die Spektivhersteller „Fotoadapter“ (z.B. Leica, Zeiss) oder „Kameraadapter“ (z.B. Swarovski). So ein Adapter ist natürlich kein afokales System, und er macht auch das neue Gesamtsystem von Spektiv ohne Okular, aber nun mit „Fotoadapter“ bzw. „Kameraadapter“, nicht zu einem afokalen System, denn es erzeugt ja ein reelles Bild im Endliche. Ähnliche Systeme wie der hier beschriebene „Fotoadapter“/„Kameraadapter“ werden auch bei astronomischen Teleskopen nicht nur zum Fotografieren in größerem Filmformat eingesetzt (bei kleinen Formaten sind sie nicht nötig, denn da kann man die Kamera so positionieren, daß die Film-/Sensorebene in der Primärfokusebene ist), um dank der damit bewirkten Nachvergrößerung, die dann auch viel mehr als 2fach sein kann, das größere Filmformat auszuleuchten, z.B. Planfilm 4x5". Genauso kann man damit die Sonne statt auf einen Film auf eine weiße Fläche projizieren und die Sonnenflecken, einen Merkur- oder Venusdurchgang oder eine partielle Sonnenfinsternis für die Augen gefahrlos beobachten. Und dort in der Astrofotografie werden diese „Fotoadapter“ als „Projektive“ bezeichnet, weshalb Herr Fritzen diesen Begriff benutzt hat, der ja den Vorteil hat, die Funktion (Projektion) des optischen Systems bereits erkennen zu lassen.
Bei den auf der Baader-Website unter dem Namen Pojektiv oder afokales Projektiv bezeichneten Zubehör handelt es sich eigentlich um ein spezielles Okular, das für das Fotografieren mit Digital-Kompaktkameres MIT Objektiv optimiert wurde, und zwar hinsichtlich eines ausreichend großen AP-Längsabstandes, was dann auch einen großen Hinterlinsendurchmesser erfordert, und einer Befestigungsmöglichkeit an einem gängigen (Filter-)Gewinde. Fotografiert man mit einer Kamera MIT Objektiv, dann „schaut“ die Kamera im Grunde nicht anders ins oder durchs Spektiv, als es das Auge bei visueller Beobachtung tut, und dann muß das Spektiv zusammen mit dem dabei verwendeten Okular ein (annähernd) afokales System bilden. Streng afokal ist es dann, wenn ein reelles/virtuelles Bild im Unendlichen erzeugt wird (das Auge muß dann beim Beobachten unakkommodiert und das Kameraobjektiv auf unendlich scharfgestellt sein). Annähernd afokal ist es, wenn die Fokussierung ein klein wenig aus dieser Unendlicheinstellung so verändert wird, daß ein virtuelles Bild im Endlichen entsteht, damit das Auge bequemer (entspannter) betrachten und eine Autofokuskamera garantiert scharfstellen kann (das geht nämlich nicht, wenn die Fokussierung des Spektivs z.B. von einem Weitsichtigen Beobachter ohne Brille etwas „über unendlich hinaus“ scharfgestellt wurde). Das Bezeichnung „afokales Projektiv“ ist etwas fragwürdig, weil nicht das Projektiv (= Okular) afokal ist, sondern nur zusammen mit dem Spektiv, in dem es anstelle eines normalen Okulars eingesetzt ist, ein afokales System bildet. Die Bezeichnung „afokale Projektion“ auf der Baader-Website ist jedoch richtig, weil sie sich aufs Gesamtsystem bezieht.
Walter E. Schön