Nun hat sich aus dem von Amerika zu uns herübergeschwappten „digiscoping“ mit Hilfe der allen von dort kommenden Sprachmüll begeistert aufgreifenden Werbetexter und sonstigen Plaudertaschen bei uns schon „Digiskopie“ und „digiskopieren“ eingenistet. Daß dieses neue Wort irgendwie unpassend ist, leuchtet nur dem ein, der weiß, was die beiden Teile „Digi“ und „skopie“ bedeuten bzw. woher sie abgeleitet sind: „Digi“ ist von „digital“ übernommen, das wiederum von lat. „digitus“ = „Finger“ abgeleitet ist; „skopie“ ist von griech. „skopein“ = „schauen“ abgeleitet). Daß es richtiger „Digigrafie“ oder „Digigraphie“ heißen müßte, wie Herr Champollion schon sagte, merkte der Erfinder dieser Bezeichnung ebenso wie die die Mehrzahl der Anwender nicht, weil ihnen die ursprüngliche Bedeutung der Wortbestandteile nicht präsent war, sondern sie nur den einen Teil „Digi“ von der „Digitalkamera“ und der andere Teil (im Englischen) von „scope“ = „Spektiv“ übernahmen. Da dieses terrestrische Fernrohr aber im Deutschen nicht ebenfalls „Scope“ oder „Skop“ heißt, sondern „Spektiv“, und wir daher bei „skop(ie)“ nicht sofort an dieses Gerät, sondern ans Schauen denken wie bei „Mikroskop“ oder „Teleskop“, war die unbedachte Übernahme unglücklich.
Ich fürchte jedoch trotz dieses offensichtlichen Problems, daß da ein kleines Häuflein Aufrechter, die einen tieferen Sinn in der Bezeichnung zum Ausdruck bringen möchten, keine Chance gegen eine solche Mehrheit hat, Dennoch können wir es ja probieren, ob dieses Forum imstande ist, neue, logischere Begriffe zu prägen.
Ich hatte noch nie überflüssige Zeit und fühle mich beinahe immer irgendwie unter Zeitdruck, aber dennoch bin ich im Interesse guter Sprache gern bereit, „Fotografieren durchs Spektiv“ zu sagen oder zu schreiben. So viele Buchstaben mehr sind das nicht, daß man nach dem Schreiben dieser drei Wörter gezwungen wäre, auf die Uhr zuschauen und im Terminkalender Verschiebungen vorzunehmen.
Doch wenn ein neuer Begriff gefunden werden muß, dann hat nur einer Chancen, der kurz ist und leicht über die Lippen geht. „Spektifotografie“ ist zwar nicht unbedingt schon zu lang (obwohl kürzer besser wäre), aber da steckt kein flüssiger Rhythmus drin. Jedenfalls empfinde ich das so.
Ich wäre mit dem Vorschlag von Herrn Sellner einverstanden, auf „Digi“ zu verzichten, weil es auf diesem Gebiet kaum noch etwas anderes als „Digi“ gibt und das deswegen gar nicht mehr betont werden muß, aber auch, weil man mit „Digi“ expressis verbis das Fotografieren auf dieselbe Weise mit einer analogen Kamera unnötigerweise ausschlösse.
Ob „Tele“ drin sein muß? Es wäre schon aussagekräftig, da man doch eine Alternative zum Fotografieren mit Teleobjektiven hat. Telefotografie ist aber ungeeignet, denn so bezeichnet man ja schon das Fotografieren mit Teleobjektiven. Und „Telegrafie“ geht schon gar nicht, weil schon anderweitig in Gebrauch.
Will man dann noch unterscheiden zwischen der Fotografie durch ein Spektiv und der durch ein Fernglas, muß etwas benutzt werden, mit dem klar wird, welches der beiden optischen Instrumente sich vor der Kamera befindet. Deshalb schlage ich als die wahrscheinlich kürzeste Möglichkeit vor:
• „Spektografie“ oder „Spektigrafie“ fürs Fotografieren durchs Spektiv und
• „Binografie“ fürs Fotografieren durchs Fernglas.
„Spektigrafie“ mit i liegt zunächst nahe, weil auch „Spektiv“ das i hat. Aber irgendwie geht „Spektografie“ mit o leichter über die Lippen und paßt auch besser zur „Binografie“ mit ebenfalls dem o.
Die Gefahr, daß jemand statt ans Fotografieren durch Spektive ans Fotografieren von Spektiven denkt, halte ich einerseits für gering und andererseits für nicht verhinderbar. Solche Beziehungskonflikte sind auch in ungezählten anderen Wortzusammensetzungen möglich, wie diese Beispiele zeigen:
Wenn ein „Zeitmesser“ und ein Meßgerät zur Messung von Zeit ist, dann könnte man ein „Brotmesser“ für ein Meßgerät zum Messen von Brot halten.
Wenn ein „Brotmesser“ aber ein Schneidegerät zum Zerteilen von Brot ist, dann könnte man ein „Taschenmesser“ für ein Schneidegerät zum Zerteilen von Taschen halten.
Wenn ein „Taschenmesser“ jedoch ein Messer ist, das man in die Tasche stecken kann, dann könnte man einen „Durchmesser“ für ein Messer halten, das man in den Durch (was ist das?) stecken kann.
Wenn ein „Durchmesser“ das Maß ist, das man durch den ganzen Gegenstand hindurch von Rand zu Rand zu messen hat, dann könnte man bei „Beckmesser“ verzweifeln, weil sich da außer einem bekannten SPD-Politiker nichts finden läßt, das zum Finden der Bedeutung auf die Sprünge hilft.
Zurück zum Thema: Wie wär's denn nun mit „Spektografie“ und „Binografie“? Wer ist dafür? Wer hat einen anderen vielleicht besseren Vorschlag?
Das der Kamera vorgesetzte Gerät ist daraus klar ersichtlich, und „grafie“ sagt, daß man wie in der „Fotografie“ Bilder „schreibt“, also in materieller Form festhält und nicht (nur) den flüchtigen Blick („skopie“) will.
Walter E. Schön