Ein Erfahrungsbericht
Ausgangslage
Ich bin ein Durchschnittsnutzer ohne technische Hintergrundkenntnisse und vergleiche hier ein bildstabilisiertes Canon Fernglas mit einem traditionellen Premium Glas. Mein Hintergrund: Körperlich fit, aber keine ganz ruhige Hand (mehr), 67 Jahre alt, häufig als Wanderer und Beobachter in der Natur unterwegs, auch bei Regen und sonstigen misslichen Verhältnissen, Brillenträger. Der Bericht kann vielleicht Kaufinteressenten unterstützen, die – wie ich - misstrauisch gegenüber Elektronik an allem und jedem sind.
Erwerbsgrund
Ich besitze ein Zeiss Victory SF 8x42, mit dem ich äusserst zufrieden bin. Doch manchmal sticht einem der Hafer und man möchte etwas mehr Vergrösserung und ausserdem gerade auch noch eine ruhigere Hand. Letzteres ist aber so eine Sache, weil sich da nichts rückgängig machen lässt. Selbst sportliches Training verbessert das (un-)ruhige Halten nur mässig und die mittlere Zukunft lässt wenig Gutes erahnen. Höhere Vergrösserungen rufen deshalb entweder nach einem Stativ oder nach der Elektronik. Mit einem Stativ kann ich mich aus verschiedenen Gründen nicht anfreunden, auch nicht mit einem Einbein-Stativ.
Bleibt also nur eine elektronische Bildstabilisierung. Das entsprechende Angebot an Ferngläsern ist nicht gerade berauschend. Der Grund dazu ist mir unbekannt, denn eigentlich müsste sich aus dem stark wachsenden Marktsegment der Alten eine stattliche Nachfrage ergeben. Zur Zeit aber muss man sich auf wenige Marken beschränken. Ich arbeitete mich also quer durch Tests und Erfahrungsberichte durch und entschied mich schliesslich für das Fernglas Canon 14x32 IS.
Nach der Zustellung lag bei uns einige Tage lang Hochnebel. Die ganze Welt war grau in grau, die Sichtverhältnisse also recht ungünstig. Das Zeiss schlug sich trotzdem bestens. Das Canon, naja, nicht schlecht, aber gegenüber dem Zeiss fällt die Bildqualität halt merklich ab. Und weil ich da pingelig bin, hätte ich das Glas ohne den Stabilisator zurückgeschickt. Die elektronische Unterstützung aber ist wirklich klasse und rettete das Ganze. Man fixiert das Objekt, drückt oben auf den Knopf, ein kaum hörbares Knackgeräusch und das Bild steht still. Wenn man das zum allerersten Mal erlebt, dann ist das, einfach gesagt, erstaunlich. Für mindestens 5 Minuten kann man entspannt durchschauen und in aller Ruhe z.B. die wunderbare Farbzeichnung der vor kurzem wieder zugezogenen Krickenten beobachten.
Design
Im Vergleich zum Zeiss: furchtbar. Während das Zeiss ohne weiteres als elegant, ja geradezu filigran bezeichnet werden kann, fällt beim Canon fast reflexartig der Begriff klobig. Nein, ein Wunderwerk des Designs sieht anders aus. Ich nehme an, dass die eingebaute Stabilisator-Technik ihren Platz braucht und man das Beste daraus machte. Aber eben, eine Schönheit ist es nicht.
Beim Anfassen und Halten fühlt sich das Zeiss rundum angenehm an. Beides ist beim Canon wegen seiner Klobigkeit so lala. Der Überzug ist nicht schlecht, kommt aber nicht an die deutsche Konkurrenz heran. In der Beobachtungssituation liegt das Canon dann aber gar nicht schlecht in den Händen, jedenfalls nicht so, dass längeres Halten ein Problem werden könnte. Im Ergebnis meine ich, dass die beiden Ferngläser ästhetisch unterschiedlicher kaum sein könnten, aber im praktischen Gebrauch wirkt sich das nicht aus. Auch die gefühlte Qualität scheint mir bei beiden sehr gut. Möglicherweise wird es im Detail und auf lange Zeit hin noch Unterschiede geben, aber merkbar sind sie aktuell nicht. Schliesslich noch eine Bemerkung zum Gewicht: Das Canon benötigt 2 Batterien und ist alles in allem etwas schwerer als das Zeiss. Beide Ferngläser sind von Gewicht/Grösse her für Wanderungen geeignet.
Augenmuscheln
Die Augenmuscheln sind beim Zeiss tadellos, da gibt es nichts zu sagen. Brillenträger drehen sie leichtgängig rein, sonst raus. Beim Canon werde ich nicht richtig warm mit den Kunststoff-Muscheln. Sie sind mir ein bisschen zu hart, zu wenig elastisch. Ich bin fast froh, dass ich eine Brille trage und deshalb die Augenmuscheln ein für (fast) alle Male nach unten klappen konnte. In dieser Position wirkt sich dann das leicht harte Material wieder gut aus, denn die Muscheln bleiben unten fixiert und sind wie nicht mehr vorhanden. Der Einblick mit der Brille ist so problemlos wie beim Zeiss.
Bildqualität
Bei schlechtem Wetter und bei sonstigen Situationen mit weniger Licht ist das Zeiss einiges voraus. Mich dünkt das Bild plastischer, sogar etwas schärfer, eindringlicher. Jedoch schon bei mittleren bis guten Lichtverhältnissen kann ich keinen nennenswerten Unterschied zum Canon bemerken. Beide liefern 1a-Qualität, kann sein, dass das Zeiss vielleicht noch einen kleinen Zack mehr drauf hat. Nun aber der entscheidende Bonus des Canon: der elektronische Bildstabilisator. Ich zittere nicht besonders, aber bei einer Vergrösserung von 14x kann ich das Glas nicht richtig ruhig halten, schon gar nicht über längere Zeit. Kein Problem für das Canon: Objekt suchen, die Schärfe lässt sich leicht und sehr präzis einstellen, Knopfdruck – und das Bild steht ruhig im Raum. Man hat sogar die Möglichkeit, zwei verschiedene Stabilisatoren einzuschalten. Der Unterschied auf dem Land ist nicht gross bemerkbar. Ich probierte das Canon bei leichtem Wellengang auch noch aus einem 6 m x 1,8 m grossen Fischerboot heraus. Hier stabilisiert der sogenannte Powered IS merklich besser als der Standard Stabilisator.
Das elektronisch beruhigte Bild des Canon 14x steht eindeutig stabiler als jenes des Zeiss 8x. Das wirkt sich vor allem bei längerer Beobachtungsdauer sehr zugunsten des Japaners aus. Die Nachhilfe via Elektronik ist wie gesagt DER entscheidende Vorteil des Canon. Dazu kommt das Mehr an Vergrösserung. Aus meiner praktisch orientierten Sicht lässt sich die faszinierende Bildruhe nicht wegdiskutieren, die Vergrösserung ist vorteilhafter und beides zusammen wird dem Zeiss das Alltagsleben schwer machen.
Preis-Leistungs-Verhältnis
Der Preis des Canon Fernglases ist bis Oktober 2020 merklich gesunken. In der Schweiz kostet das Canon CHF 1'164.00, das Zeiss CHF 2'176.00. Ob der Preisunterschied gerechtfertigt ist, lässt sich nicht objektiv beurteilen. Ein exzellentes Fernglas ist sehr teuer, es ist aber auch sehr langlebig und in der Qualität inkl. Bildschärfe deutlich über der günstigeren Konkurrenz. Gerade was letzteres betrifft, müsste Canon unten durch, wäre da nicht dieser Stabilisator. Betreffend das Zeiss denke ich im Sinne eines Vorurteils (gestützt durch die Erfahrung mit dem Vorgänger, einem Swarovski), dass seine Langlebigkeit meine statistische Lebensdauer übertreffen und der Service auf hohem Niveau bleiben wird. Letzteres wird aber wohl auch beim Canon der Fall sein. Das Canon Fernglas scheint aus Laiensicht im übrigen sehr gut gefertigt, der Klotz liegt stabil und robust in den Händen - aber ich misstraue der Lebensdauer von elektronischen Bauteilen. Dazu kommt, dass das Zeiss bei ungünstigen Lichtverhältnissen nicht zu schlagen ist. Insgesamt ist und bleibt es das bessere Glas bei trübem Wetter oder Dämmerung. Aber ansonsten? Ich bin kein Prophet, meine aber, dass ich für den Alltagsgebrauch das Canon vorziehen werde, weil der Bildstabilisator schon eine sehr praktische Sache ist und den Zweck eines Fernglases – das Beobachten - ganz entscheidend erleichtert und, ja, verschönert.
