Hallo Andreas,
die Verwirrung entsteht durch die widersprüchlichen Angaben der Hersteller. Während sich der objektive Sehwinkel exakt in das Sehfeld umrechnen lässt, erfordert eine Berechnung des subjektiven Sehwinkels, wie John Russel bereits erwähnte, die Kenntnis der Verzeichnung. Leider geben die Hersteller die Verzeichnungen ihrer Optiken nicht an. Alternativ könnten sie zumindest die tatsächlichen subjektiven Sehwinkel publizieren, aber das tun nur wenige (Swarovski, sowie Zeiss ausschließlich bei seiner SF Reihe, nicht jedoch bei den anderen Modellen!). In allen anderen Fällen benutzen sie Standard-Umrechnungsformeln, die die subjektiven Sehwinkel entweder über- oder unterschätzen.
Die von Nikon konsequent genutzte ISO 14132-1:2002 Umrechnungsformel lautet
a = 2 atan[m tan(A/2)] (1)
wo 'a' der subjektive Sehwinkel und 'A' der objektive Sehwinkel ist, sowie 'm' die Vergrößerung. Diese Formel gilt nur in Abwesenheit einer Verzeichnung (genau genommen in Abwesenheit der radialen Verzeichnung V), und diese Bedingung ist in der Praxis so gut wie nie erfüllt. In Anwesenheit einer radialen Verzeichnung muss obige Formel erweitert werden auf
a = 2 atan[m (V+1) tan(A/2)]
wo 'V' die relative radiale Verzeichnung am Sehfeldrand angibt. Ist diese gleich Null, dann erhält man sofort wieder die ISO-Formel. Fast immer ist V eine positive Zahl, man spricht dann von einer kissenförmigen Verzeichnung. Dumm nur, dass kein Hersteller den Wert von V angibt. Ein Spezialfall ist von Interesse, nämlich die sog. Winkelbedingung, in der
tan(mA/2)
V = ------------ - 1 (Winkelbedingung)
m tan(A/2)
gilt. Diese führt zu der bekannten einfachen Umrechnungsformel
a = m A (2) (Winkelbedingung)
Man kann zeigen, dass dieser Spezialfall, falls er für jeden Bildpunkt erfüllt wird, die Winkelabstände aller Bildpunkte beim Schwenken über das gesamte Sehfeld unverändert lässt. In der Astronomie bedeutet das u.a., dass ein offener Sternhaufen in der Bildmitte genauso dargestellt wird wie am Sehfeldrand (wenn das Auge der Position des Sternhaufens dem Schwenk an den Sehfeldrand folgt). Im englischen Sprachraum spricht man dann von der Abwesenheit einer 'angular magnification distortion' (AMD) - wofür es im Deutschen offenbar keinen eigenen Ausdruck gibt (man könnte etwas salopp von 'Winkelverzeichnung' sprechen).
Historisch haben die Hersteller zunächst eine verzeichnungsfreie Abbildung (V = 0) angestrebt, seit etwa 1950 dann vermehrt auf die Winkelbedingung gesetzt (bei der V > 0 ist und eine deutliche kissenförmige Verzeichnung existiert), um den Globuseffekt beim Schwenken des Fernglases zu vermeiden. In fast allen Ferngläsern, die es augenblicklich auf dem Markt gibt, liegt der Wert der Verzeichnung irgendwo zwischen V = 0 und der Winkelbedingung, so dass weder (1) noch (2) die korrekten Verhältnisse widerspiegelt. Es bleibt uns dann nicht anderes übrig, als die scheinbaren Sehwinkel selber zu messen.
Viele Grüße,
Holger