Je schärfer Sie durch eine Fernglas die von Ihnen beobachteten Krähen sehen, desto mehr Details im Gefieder können Sie unter sonst gleichen Voraussetzungen bzw. Bedingungen wahrnehmen. Der zusätzlich zu den von Farbpigmenten (bei denen es sich meistens um Melanine handelt) verursachten Farben durch Interferenzeffekte (siehe Farben auf öligen Wasserpfützen) entstehende Farbschimmer auf den Federn, extrem deutlich übrigens an Pfauenfedern, entsteht nicht großflächig über die gesamte Federoberfläche, sondern nur an bestimmten Teilen, wo sich dünne transparante Schichten befinden. Sie haben bei jeder Feder schräg zum Kiel die „Federäste“, die auf beiden Seiten des Kiels je eine „Federfahne“ bilden. Diese Federfahnen bilden bei oberflächlicher Betrachtung eine geschlossene Fläche, doch bei genauer Betrachtung, erst recht mit einer Lupe oder gar einem Stereomikroskop, sieht man ungezählte Zwischenräume, also ein sehr transparentes Gebilde. Der im Falle Ihrer Krähen blaue Schimmer sieht genaugenommen nicht wie eine homogene bläuliche Schicht aus, sondern wie eine flächige Schraffur mit dicht an dicht geführten feinen bläulichen Strichen längs der Federäste. Je besser das Fernglas „auflöst“, also Detailstrukturen sichtbar wiedergibt, desto besser erkennen Sie den bläulichen Schimmer. Je mehr die Details „verschmiert“ werden, desto weniger ist der bläuliche Schimmer wahrnehmbar. Dazu kommt bei einem Fernglas mit etwas gelblichem Bild der Effekt, auf den Herr Müscher schon hingewiesen hat: Das gelbliche Bild entsteht (allerdings) nicht durch eine Überbetonung von Gelb, denn das hieße physikalisch Energieerzeugung aus dem Nichts, sondern durch reduzierte Transmission komplementärer Farbbereiche, also in einfacher verständlicher Sprache: durch Abschwächung von Blau. Da die Krähen ja nicht blau sind, sondern Sie nur einen schwachen bläulichen Schimmer wahrgenommen haben, kann es gut sein, daß schon eine verhältnismäßig geringe Transmissionsschwäche im Blaubereich genügt, um in Verbindung mit einer zugleich auch geringeren Auflösung die Erkennbarkeit des blauen Schimmers zu verhindern.
Schließlich kommt als dritter für die Erkennbarkeit solcher Farbschimmer relevanter Parameter noch der Kontrast des Fernglases hinzu, der im Wesentlichen außer von hoher Auflösung auch von der weitgehenden Falschlichtfreiheit herrührt. Ein Fernglas, das aufgrund stärkerer interner Reflexionen an der Tubusinnenseite, an Fassungsteilen, an nicht geschwärzten Linsenfassungen, an Fokussiergestängen usw. sowie natürlich auch an den vergüteten Linsenoberflächen und eventuell auch an Staub und Fingerabdrücken auf den äußeren Linsenflächen von Objektiv und Okular mehr diffuses Falschlicht (Streulicht) erzeugt, deckt damit zarte Farbschimmer buchstäblich zu. So wie lauter Umgebungslärm beim Musikhören leise Klänge (pianissimo) akustisch zudeckt und unhörbar macht, deckt diffuses Falschlicht zarte Farbschattierungen und feine Detailstrukturen optisch zu und macht sie unsichtbar. Das Victory 8x42 FL gilt als eines der kontrastreichsten und somit falschlichtärmsten Ferngläser und bietet daher besonders gute Voraussetzungen, um den von Ihnen beobachteten Blauschimmer im Krähengefieder wahrzunehmen. Ihr 8x20 dürfte wohl diesbezüglich nicht so gut sein.
Walter E. Schön