Ich glaube nicht, dass das Zittern der Handmuskeln ein relevantes Problem ist. Zum einen nehme ich an, dass jeder Nutzer intuitiv eine möglichst "momentenfreie" Lage in Bezug auf diese Muskeln sucht, und solange und rasch die Griffposition variiert, bis er eine angenehm entspannte Lage in den Händen gefunden hat. Zum anderen glaube ich, dass das Hochhalten der Arme, also die Ermüdung der Armmuskeln, der ausschlaggebende Faktor ist, denn egal wie entspannt die Hände sind, die Armmuskeln haben beim Freihandbeobachten immer zu tun.
Das Hauptproblem scheint mir daher das Verkippen in der Vertikalen zu sein, besonders weil das Fernglas horizontal meist nur in einer gedachten Achse oberhalb der Augen, abgestützt an den Augenhöhlen oder den Brillengläsern, gehalten wird. Um diese horizontale Achse ist dann fast freie Rotation möglich, während es um die vertikale Achse viel besser stabilisiert ist, da das Glas ja an zwei Punkten im Abstand beider Augen angedrückt wird. Wie kann man die Stabilisierung um die horizontale Achse verbessern, die vertikale Zitterbewegung dämpfen?
Zusatzgewichte mit Erhöhung des Trägheitsmoments, oder gleich ein schwereres Glas, sind eine Option. Noch besser ein langer Stock, wie ihn die Finnen unter das Glas setzen, den man dann zusätzlich mit einem relativ entspannt hängenden Arm in Hüfthöhe abstützen kann. Der große Abstand zischen Augenstütze und Hüftstütze stabilisiert dabei wahrscheinlich mehr als das zusätzliche Gewicht. Vielleicht könnten die Hersteller von Tragesystemen die Idee aufgreifen und kreativ ausbauen, falls nicht schon geschehen: Man könnte z.B. ein System aus Hüftgurt mit Aufnahmeschaft entwickeln, in den man einen leichten Stab steckt, der mit dem Glas - über das in Premiumgläsern noch zu integrierende Stativgewinde - per Schnellkupplung verbunden würde...
(Vielleicht würde ein gutes preiswertes System auch den Absatz hochvergrößernder unstabilisierter Ferngläser fördern, denn binokulares Freihand-Beobachten ab 20-fach macht einfach einen Heidenspass. Herr Sommerfeld hat beschrieben, was sein teures stabilisiertes 20x60 kann. Ich kenne das Glas leider nicht, aber in meinem unstabilisierten billigen 20x70 habe ich schon oft Greifvögel im Landeanflug beobachtet, vermutlich mit nicht weniger Freude, denn es war atemberaubend dabei zuzusehen. Man kann ihnen dann an den scharfen blickenden Augen ablesen, wie sehr das Spass macht: Das Segeln und Gleiten auf der Luft, das sich Hineinfallen lassen in eine absteigende Kurve mit v-angewinkelten Flügeln, bei dem sie zuerst schneller werden, dann das bremsende Anflugmanöver mit den wieder ausgebreiteten Flügeln, die Korrekturbewegungen bis in die Flügelspitzen hinein bei denen sich der ganze Körper den aerodynamisch besten Lufttunnel zu formen scheint, die zum Schluß im Langsamflug ausgestreckten Fänge usw. usw. Sie tragen dabei meistens ein ziemliches Grinsen um den Schnabel :-)
Auch eine Schildmütze -ich glaube Florian hat hier mal darauf hingewiesen- leistet schon gute Dienste beim Stabilisieren in der Vertikalen, wenn man Schild und Glas mit einer Hand umfasst, sicher mehr als - meiner Meinung nach überflüssige - Griffmulden. Und noch mehr würde mich interessieren, ob man nicht durch individuell geformte Augenmuscheln eine deutlich bessere Stabilisierung in der Vertikalen erreichen könnte. Mit einer Art zweiäugigem Tauchermasken- oder Schwimmbrillenprofil, bei dem nicht nur oberhalb, sondern auch unterhalb oder seitlich des Auges abgestützt würde. (Wobei dann allerdings die Neigung zum Beschlagen problematischer werden dürfte. Vielleicht müsste man ein Art passive Wärmebrücke von den Händen zu den Okularlinsen schaffen: Metallgehäuse wären da besonders vorteilhaft. Sie könnten die Hände zur Entlastung der Handmuskulatur bis zum stabilisiertechnisch günstigen Festfrieren am Gehäuse auskühlen, und dabei deren Restwärme zum Heizen an die Okularlinsen abführen :-) Ernsthaft: wenn es sogar schon individuell angepasste Ohrknopfhörer gibt, warum dann nicht auch individuelle Augenmuscheln, die den Beobachtungsgenuss in vielen Fällen vermutlich deutlich verlängern und steigern könnten? Vielleicht ein neues Geschäftsfeld, erstmal exklusiv für Premiumkundschaft?
PS.: Danke Holger, für den interessanten Vergleichstest. Da wäre man gern dabei gewesen. Ich habe größte Zweifel, ob allein optische Gründe den Kauf eines Premiumdachkant rechtfertigen könnten...
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 14.12.11 13:10.