Ihre Wartezeit von 30 Minuten hätte auch kürzer sein dürfen. Zwar dauert die Dunkeladaption sehr lang, wenn man maximale Empfindlichkeit benötigt, nämlich mindestens 50 Minuten bis weit über eine Stunde. Neueste Forschungen zeigen, daß danach noch immer bis zu (geschätzt) etwa 24 Stunden die Empfindlichkeit noch ein wenig (für die Praxis aber wohl nicht mehr relevant) anwächst.
Für Ihren Zweck geht es jedoch nur um die maximale Öffnung der Pupillen. Das ist nur ein erster Teil der Dunkeladaption, der eine Empfindlichkeitssteigerung um etwa einen Faktor 16 bis max. 20 bringt. Ein zweiter, der in der Empfindlichkeitssteigerung sehr viel mehr bringt, nämlich mehrere Zehnerpotenzen, ist die starke Anreicherung von Sehpurpur (Zapfenopsine) durch verminderten Abbau (der fast zum Erliegen kommt, wenn kein oder nur sehr wenig Licht einfällt). Ein dritter Teil der Dunkeladaption ist der Wechsel vom Zapfen- zum Stäbchensehen (= vom Farben- zum monochromen Hell-dunkel-Sehen) durch Anreicherung des Sehpurpurs der Stäbchen (= des Rhodopsins), wodurch eine Steigerung der Empfindlichkeit etwa um den Faktor 1000 erfolgt. Schließlich gibt es dann sogar noch einen vierten Teil, der sich durch Vergrößerung der sog. rezeptiven Felder (vergleichbar dem „Binning” bei digitalen Fotos) ergibt.
Der zeitliche Ablauf erfolgt etwa in der obigen Reihenfolge meiner Beschreibung. Wenn die Helligkeitsabnahme nicht allmählich (wie bei der Dämmerung in der Natur), sondern plötzlich erfolgt, z.B. nach Verlassen eines erleuchteten Raumes in der Nacht, dann ist die Pupillenweitung meistens schon nach ca. 10 Minuten abgeschlossen. Sie hätten also die Messung bereits nach 10 Minuten mit demselben Ergebnis machen können.
Der zweite Teil (Steigerung der Zapfenempfindlichkeit durch sich anreichernde Zapfenopsine) verläuft dazu parallel und dauert auch ähnlich lang, wahrscheinlich etwas länger, ist aber wegen der Überlagerung durch den dritten Teil (Steigerung der Stäbchenempfindlichkeit durch sich anreicherndes Rhodopsin) und wegen eines nicht exakt definierbaren Endes nicht genau bestimmbar. Etwa 8 Minuten ab Beginn (Helligkeitswechsel) macht die bis dahin stetig ansteigende Empfindlichkeitskurve einen Knick (sog. Kohlrauschknick, benannt nach dem Physiologieprofessor Arnt Kohlrausch), nach dem die Kurve plötzlich deutlich steiler weiter ansteigt. Dieser Knick hat seine Ursache darin, daß nach dieser Zeit die schneller ansteigende Empfindlichkeitskurve der Stäbchen die immer langsamer ansteigenden Empfindlichkeitskurve der Zapfen „überholt“. Der Wechsel vom Zapfen- zum Stäbchensehen ist mit einer deutlichen Herabsetzung der Sehschärfe und einem völligen Verlust des Sehens im Zentrum (gelber Fleck = Macula lutea) verbunden. Die im vierten Teil erfolgende Vergrößerung der rezeptiven Felder führt zu einer weiteren starken Herabsetzung der Sehschärfe. Dies ist ein Grund, warum bei der astronomischen Beobachtung extrem lichtschwacher flächiger Objekte (Nebel und nicht auflösbarer Galaxien und Sternhaufen) vor allem die Größe der Öffnung zählt und nicht die Schärfe eines Teleskops, also sogar ein Billig-Dobson einem vielfach teureren Apo-Refraktor überlegen sein kann. Sobald aber helle Sterne im Sehfeld liegen, führen diese natürlich zur Verkleinerung der rezeptiven Felder und sind auch wieder mit den Zapfen (im Zentrum der Netzhaut) zu sehen.
Ebenfalls zu einer Herabsetzung der Sehschärfe führen die bei geweiteter Augenpupille stark zunehmenden Aberrationen des Auges. Auch das kann dazu führen, daß bei Fernglasbeobachtung in so tiefer Dämmerung, daß keine Farben mehr erkennbar sind, ein weniger gutes (scharfes) Fernglas kein nennenswert schlechteres Bild als ein sehr scharf abbildendes Fernglas zeigt, sofern nicht andere Mängel wie z.B. Streulicht, Reflexe oder ein engeres Sehfeld den Seheindruck beeinträchtigen. Ein Zeiss Victory 10x56 FL wird also bei terrestrischer Nachtbeobachtung nicht sehr viel besser abschneiden als z.B. das Nikon Monarch 10x56. Aber sobald Sterne beobachtet werden oder terrestrisch bei solcher Dämmerung beobachtet wird, daß die Farben noch erkannt oder erahnt werden können, spielt das Zeiss seinen unbestrittenen Qualitätsvorsprung wieder aus.
Walter E. Schön