Ich vermute, dass das, was Sie schreiben, für Gläser chinesischer Herkunft in diesem Preissegment typisch ist. Es käme vermutlich zu teuer, die Qualtiätsstreuung zu reduzieren, weil dann die Preise weniger aufsehenerregend ausfielen. Deshalb müssen die Käufer mit dem Risiko leben, kein optimal gefertigtes Produkt zu bekommen und große Toleranzen hinzunehmen. Man setzt darauf, dass der Kunde nicht so genau hinsieht.
Offenbar nicht ohne Erfolg, wie man auch an Herrn Champollion sehen kann. Obwohl nicht gerade unerfahren, erkannte er keinen von den vielen Fehlern und hatte nur den sensationellen Preis im Auge. Die weniger sensationelle Qualität wäre ihm vermutlich nie aufgefallen. Und so versteht man auch, wie schnell es zu ungerechtfertigten Sensationsberichten im Internet kommen kann, Tenor: fast Premium, und das zu einem Fünftel des Preises! Aber klar doch.
Bei meinem chinesischen Porro gab es seinerzeit übrigens völlig vergleichbare Mängel. Die meisten konnte ich dort zwar mit etwas Selbsthilfe beheben oder abmildern, bei einem wasserdichten Dachkantglas dürfte das aber für einen Laien unmöglich sein. Hier bleibt bei einem Versandkauf nur die Hoffnung auf Umtausch und darauf, beim nächsten Versuch mehr Glück zu haben. Wer dieses Spiel vernünftigerweise - und nicht zuletzt aus ökologischen Gründen - nicht mitmachen will, setzt lieber gleich auf besser kontrollierte und daher etwas teurere Markenware und den örtlichen Fachhandel. Dort kann man auch ein konkret angeschautes Individuum erweben und muß nicht die Katze im Sack kaufen. Selbst wenn so ein Glas u. U. aus der gleichen Fabrik kommen sollte, dürften diese Vorteile den Mehrpreis rechtfertigen.
Das Gute an Ihrem Bericht ist, dass er alle Interessenten, die insgeheim die trügerische Hoffnung hegen, im Versandgeschäft eine tadellose erstklassige Optik zum Schnäppchenpreis ergattern zu können, auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Wer auf Qualitätskontrolle pfeift, (die m.E. indirekt auch immer etwas mit den sozialen, ökonomischen und ökologischen Umständen des Angebots zu tun hat) weil er auf niedrigste Preise schielt, dessen Zockermentalität trifft eben umgekehrt auf die komplementäre Zockermentalität entsprechender Hersteller und Anbieter. Nur mit Glück bekommt er ein angemessenes oder günstiges Preis-Leistungsverhältnis. Solange er das aber gar nicht beurteilen und erkennen kann, wird er trotzdem zufrieden sein, der Werbelyrik Glauben schenken, und sich erst recht nicht an den womöglich langfristig nachteiligen gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen stören.
Ich fürchte, im konkreten Fall hat Ihr Realismus Herrn Champollion die Freude etwas verdorben. Mit einem nach Ihrem Urteil eher mittelprächtigen Zockerergebnis dürfte er sich nicht dauerhaft abfinden. Und wenn er wirklich mal einen Glückstreffer landet, und eines der weltbesten 8x32er wie weiland ein Victory zum Spottpreis ergattert, dann ist dummerweise die Verführung viel zu groß, es irgendwann gewinnbringend weiter zu veräußern und das Geschäft hier im Forum als Dienst am Vaterland zu verkaufen: für die notleidende fernglasunterversorgte Bevölkerung im Fernglashochpreisland Frankreich :-)
Mich hat Ihre gewohnt kompetente und detaillierte Einschätzung überzeugt, die ich deshalb gerne gelesen habe. Lassen Sie bald mal wieder von sich hören, wenn es Ihre Zeit erlaubt. Und zuletzt: Mast- und Schotbruch für Ihr wichtiges Buchprojekt!
PS.: Haben Sie eine Vermutung, weshalb das Glas trotz seiner immerhin 135m Sehfeld so leicht ist?