Zitat:
„Und sie verbiegen sich doch! Das liegt aber nicht an dem Fernglas, sondern an den Eigenschaften des visuellen Raums. Oomes und Koenderink haben diese tonnenförmige Verzeichnung doch gemessen. Wem das seltsam erscheint, der kann das Helmholtz Experiment auf meiner Webseite an sich selbst ausprobieren.“
Antwort:
Unser Ausgangspunkt war sinngemäß und knapp formuliert: „1. Ferngläser, die ein geometrisch unverzeichnetes virtuelles Bild erzeugen, führen beim Schwenken während des Beobachtens zu einem Effekt, der bislang als „Globuseffekt“ bezeichnet wurde und den Eindruck erweckt, als rolle das Motiv auf einer gewölbten Fläche um eine vertikale Achse ab, statt sich innerhalb der Bildebene zu verschieben. 2. Durch Einführung einer gewissen kissenförmigen Verzeichnung kann man diesem Effekt so weit entgegenwirken, daß er nicht mehr als störend wahrgenommen wird; allerdings werden dann alle nicht durch die Sehfeldmitte verlaufende Geraden im virtuellen Bild deutlich kissenförmig verbogen abgebildet, was wiederum andere Beobachter als störend und evtl. sogar viel störender als den damit unterdrückten sog. Globuseffekt empfinden.“
Es geht also (zumindest mir) um die
vom Fernglas verursachten Prozesse und nicht um den vom Gehirn erzeugten visuellen Raum, auf den ich gleich anschließend auch noch kurz eingehen werde. Deshalb betrachte ich
das, was vor den Augen passiert und dem Auge dargeboten wird, nämlich
was sich im physikalisch/mathematisch sehr präzise beschreibbaren virtuellen Bild des Fernglases abspielt.
Ich negiere keineswegs die Existenz des visuellen Raums (als Artefakt des Gehirns). Der ist aber immer, also unabhängig davon, ob ich ein verzeichnungsfreies oder ein deutlich kissenförmig verzeichnendes Fernglas vor Augen habe, derselbe und erzeugt die von den beiden Herren Oomes und Koenderink beschriebenen (aber vergleichsweise marginalen*!) Effekte
in beiden Fällen und ebenso auch, wenn ich ohne Fernglas den Gegenstand aus dem gleichen Abstand wie mit Fernglas oder dem durch die Fernglasvergrößerung dividierten Abstand (also dem scheinbaren Abstand) betrachte. Beim Vergleich von Fernglas ohne und Fernglas mit Verzeichnung oder mit Fernglas und ohne Fernglas kürzt sich dieser Effekt sozusagen heraus. Es ist also zwar ein für Wahrnehmungspsychologen ganz interessanter kleiner Effekt, aber im Zusammenhang mit dem hier zu untersuchenden sog. „Globuseffekt“ völlig bedeutungslos. Ein weiteres Argument für diese meine Aussage ist, daß der sog. „Globuseffekt“ nur beim Schwenken des Fernglases, also beim bewegten Bild auftritt, die Effektchen von Sonnefeld, Helmholtz etc. aber auch bei ruhendem Bild.
* Daß dieser Effekt im Vergleich zum sog. „Globuseffekt“ nur marginal ist, zeigt sich ja schon daran, daß es sehr große Mühe bereitet und sehr spezielle Versuchsanordnungen erfordert hat, ihn überhaupt nachzuweisen.
Es geht also darum, zu zeigen, welche
Eigenschaft(en) des virtuellen Bildes des Fernglases beim Schwenken dafür verantwortlich sind, daß der Beobachter den Eindruck bekommt, er blicke auf eine sich drehende gewölbte Fläche. Die von mir gefundene Antwort auf diese Frage ist, daß beim Schwenken des Fernglases die Bildpunkt-Verschiebegeschwindigkeiten nicht über die volle Sehfeldfläche konstant sind (wie es nötig wäre, um dem Auge ein sich innerhalb der Bildebene verschiebendes Bild darzubieten), sondern ...
1. diese Verschiebegeschwindigkeiten beiderseits einer zur Schwenkrichtung rechtwinkligen Achse zu den Rändern hin zunimmt und zwar, bezogen auf den Winkel alpha (um den der betrachtete Bildpunkt abseits der optischen Achse liegt) um den Faktor 1/cos² alpha;
2. nur bei Fernglasvergrößerung 1x diese Zunahme der Bildpunkt-Verschiebegeschwindigkeit genauso groß ist wie beim Schwenken der Blickrichtung ohne Fernglas;
3. bei Fernglasvergrößerungen >1 sich die Zunahme der Bildverschiebe-Geschwindigkeit beiderseits der Mittelachse reduziert, und zwar wieder bezogen auf den Sehwinkel alpha, um den der betrachtete Bildpunkt im virtuellen Bild abseits der Achse gesehen wird, sowie bezogen auf die Fernglasvergrößerung n um den Faktor
f(n,alpha) = cos² alpha / cos² {arc tan [(tan alpha)/n]}
Das ist eine präzise mathematische Beschreibung der Verlangsamung, durch welche sich das virtuelle Bild im geschwenkten Fernglas mit dem Vergrößerungsfaktor n von dem unterscheidet, was derselbe Beobachter aus der vermeintlich um 1/n verkürzten Entfernung ohne Fernglas (oder durch ein Fernglas mit dem Vergrößerungsfaktor 1) vor Augen gehabt hätte.
Wenn man die obengenannte Funktion grafisch darstellt, ergibt sich innerhalb des als scheinbarer Sehwinkel von Ferngläsern relevanten Winkelbereich um ca. ±30° (aber auch bei größeren Bereichen, z.B. ±35°) für alpha eine frappierende Ähnlichkeit mit der Kurve, welche die Verlangsamung der zur Bildebene parallelen Komponente der horizontalen Verschiebegeschwindigkeiten der Punkte auf einer rotierenden Zylinderoberfläche. Die Abweichungen zwischen beiden sind klein genug, um dem Auge und Gehirn verborgen zu bleiben.
Es ist mir sogar möglich, mathematisch die relative Größe (Durchmesser) des rotierenden Zylinders im Verhältnis zum Sehfelddurchmesser zu bestimmen, bei dem die Übereinstimmung der beiden „Verlangsamungskurven“ am besten wird. Aber an dieser Stelle höre ich nun endgültig auf, weiteres Wissen vorzeitig öffentlich zu machen. Wer es nachlesen will und dazu auch maßstäbliche Illustrationen zur visuellen Unterstützung wünscht, soll später mein Fernglasbuch kaufen. (Ich sehe es schon kommen, daß jetzt wieder aus irgendeiner hinteren Ecke der Vorwurf kommen wird, ich verknüpfe mit meinen Beiträgen finanzielle Interessen, aber das ficht mich nicht an.)
Zitat:
„Wem das seltsam erscheint, der kann ... oder den Herren Oomes/Koenderink eine Email schreiben und sich beklagen, warum sie so einen Mist gemessen haben.“
Antwort:
Dazu habe ich keinen Grund, und ich habe auch nie behauptet, daß
diese beiden Herren Mist geschrieben hätten. Ich habe nur gesagt, ...
1. daß alle diese Effekte in diesem Zusammenhang gar keine Rolle spielen, sondern sich der sog. „Globuseffekt“ schon
allein aus den mathematisch-physikalisch beschreibbaren Effekten im virtuellen Fernglasbild erklärt (die dann bei genauer Betrachtung zeigen, daß man von Zylindereffekt sprechen müßte) und
2. dann, weil die vom Kleinkindalter an erlebte Seherfahrung des Beobachters sich allein auf die Erfahrung ohne Fernglas stützt, ein
Widerspruch zwischen dem im n-fach vergrößerten virtuellen Bild des Fernglases beobachteten Geschwindigkeitsfeld und demjenigen ohne Fernglas resultiert,
3. den das Gehirn schließlich durch eine plausibel erscheinende Annahme (nämlich der Rotation des Bildes auf einer gewölbten Fläche) auflösen kann. Das ist also genau dasselbe Muster wie bei den meisten optischen Täuschungen, und es ist ja auch eine solche, denn tatsächlich rollt ja nichts auf einem Zylinder oder gar Globus ab!
Zitat:
„Und damit drücken Sie sich um eine saubere Modellierung des Vorgangs. Der Zylinder ist in Ihrem Modell eine Einbildung oder optische Täuschung. Wenn Sie damit zu einem Wahrnehmungspsychologen gehen, dann wird er sagen, das sei wunderbar, aber wie modellieren Sie diesen Wahrnehmungsprozess?“
Antwort:
1. Ich habe mich um nichts gedrückt, sondern die Verlangsamung der Bildpunkt-Verschiebegeschwindigkeiten präzise beschrieben und jetzt, obwohl ich das ursprünglich für mein Buch aufheben wollte, wegen Ihres Vorwurfs der „unsauberen Modellierung“ doch noch die resulierende präzise Formel für f(n,alpha) oben angegeben.
2. Ja, der Zylinder
ist tatsächlich eine optische Täuschung, aber was soll daran schlecht sein? Es gibt viele optische Täuschungen, die als solche allgemein auch von Experten des Fachbereichs Wahrnehmungspychologie anerkannt sind. Jetzt gibt es eine mehr, falls niemand vor mir schon auf gleiche Weise nachgedacht und die Zusammenhänge so formuliert haben sollte, und ich habe ja auch hinreichend deutlich erklärt, warum diese Täuschung entsteht.
3. Wenn ich damit zu einem Wahrnehmungspsychologen ginge, dann könnte es sehr wohl sein, daß er, wie von Ihnen prognostiziert, ausruft „das ist wunderbar“. Er wird aber, wenn er meine gesamte Erklärung gelesen und verstanden hat, nicht die Frage stellen, wie ich diesen Wahrnehmungsprozeß „modelliere“, weil er es ja in meiner Beschreibung nachlesen kann: Die Annahme eines rotierenden Zylinders führt zu einer vergleichbaren, nicht exakt gleichen, aber in für die relativ unscharfe Wahrnehmung (unsere Sinne sind keine Meßinstrumente) weit ausreichender Näherung sehr gut übereinstimmenden Verminderung der zum Rand hin ansteigenden Verschiebegeschwindigkeiten. Die sehr gute Übereinstimmung läßt sich z.B. durch Übereinanderlegen der Graphen der betreffenden Funkionen zeigen, was ich in meinem Fernglasbuch tun werde. Die Abweichung von der Kurve, die sich für den rotierenden Zylinder ergibt, ist so gering, daß man die Ähnlichkeit nicht in Frage stellen, sondern bestenfalls von einem „leicht unrund laufenden Zylinder“ sprechen kann, dessen Abweichung von einem „rund laufenden Zylinder“ viel zu klein sind, um vom Betrachter registriert zu werden.
Zitat:
„Lange Rede, kurzer Sinn: Ihr Modell erscheint einfach und einleuchtend, weil Sie den Kernpunkt nicht ausformulieren, sondern als optische Täuschung kaschieren.“
Antwort:
1. Mein Modell erscheint nicht nur, sondern ist tatsächlich einfach und einleuchtend. Das habe ich ja von Anfang an schon gesagt, daß alles sehr viel einfacher ist und Sie mit Ihrem weit hergeholten Sonnefeld-, Helmholtz- und sonstigen Wahrnehmungseffekten, die allesamt mit dem, was im virtuellen Bild des Fernglases passiert, nicht das Geringste zu tun haben, nur ein wissenschaftlich wirkendes Drumherum aufgebaut haben, das den Blick auf das Wesentliche vernebelt und so Ihre falschen Prämissen übersehen läßt. Und genau deshalb habe ich diese wissenschaftliche Verbrämung Ihrer falschen Annahmen als „pseudowissenschaftlich“ bezeichnet.
2. Der Kernpunkt, nämlich die frappierende Ähnlichkeit der Verlangsamung der Bildpunkt-Verschiebegeschwindigkeit einerseits im virtuellen Bild des geschwenkten vergrößernden Fernglases und andererseits derjenigen an einem rotierenden Zylinder, habe ich doch deutlich genug ausformuliert.
3. Ich „kaschiere“ nichts durch eine optischen Täuschung, sondern ich sage klipp und klar, daß es sich um eine solche handelt, und ich habe dafür auch die Begründung geliefert.
Walter E. Schön