Wir haben also ein Geschwindigkeitsfeld vorgegeben. Nun schreibt der Zylindereffekt vor, dass wir beim Schwenken ein Geschwindigkeitsfeld WAHRNEHMEN, das eine zylindrische Symmetrie besitzt. Für das WAHRGENOMMENE Feld können wir die folgenden Eigenschaften bestimmen:
Wir nehmen ein kartesisches Koordinatensystem an, x in Schwenkrichtung und y senkrecht dazu (parallel zur Zylinderachse), und legen den Ursprung in die Sehfeldmitte. Wir haben Geschwindigkeitskomponenten in beide Koordinatenrichtungen, vx und vy. Die Zylindersymmetrie erfordert:
vy = 0 für jeden Bildpunkt, alle Punkte bewegen sich parallel zur Bewegungsrichtung von links nach rechts. Für die Beschleunigungen der Punkte gilt
d(vx)
----- > 0 für Bildpunkte der Koordinaten x < 0 (links der Mitte), und
dt
d(vx)
----- < 0 für Bildpunkte der Koordinaten x > 0 (rechts der Mitte)
dt
Diese Bedingungen bedeuten, dass die Bildpunkte von links kommend schneller werden, und dann Richtung rechten Rand wieder langsamer (rotierender Zylinder). Nun kann man aus jedem Geschwindigkeitsfeld die Koordinaten zurückgewinnen. Genau so, wie jedes Geschwindigkeitsfeld sich aus der zeitlichen Ableitung der Koordinaten ergibt, erhält man die Koordinaten wieder zurück, indem man das Geschwindigkeitsfeld über die Zeit integriert (was aus dem Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung folgt). Das können wir formal für jeden einzelnen Bildpunkt wie folgt erledigen:
In vertikaler Richtung: y(t) = y(0) + integral(vy dt)
Nun ist aber vy=0, d.h. die vertikale Koordinate dieses Bildpunktes zum Zeitpunkt t bleibt stets dieselbe wie zum Zeitpunkt t=0, y(t) = y(0).
In horizontaler Richtung ist die Sache komplizierter, weil sich die WAHRGENOMMENEN Geschwindigkeiten ständig ändern. Betrachten wir mal zwei Punkte in der rechten Hälfte des Sehfeldes, die zum Zeitpunkt t=0 die beiden Koordinaten x1(0) < x2(0) haben, d.h. x1 liegt links von x2. Jetzt schwenken wir das Fernglas ein wenig weiter, x2 bewegt sich mit der Geschwindigkeit vx2 nach rechts, und x1 mit einer etwas höheren Geschwindigkeit vx1 = vx2+v, v>0, denn nahe der Mitte bewegen sich die Bildpunkte ja schneller. Ein winziges Zeitintervall dt später (das so kurz sei, dass man die Geschwindigkeiten noch konstant setzen kann) sind die neuen Punktkoordinaten
x1(dt) = x1(0)+(vx2+v)*dt
x2(dt) = x2(0)+vx2*dt
Zu diesem Zeitpunkt hat sich deren Abstand notwendigerwiese verringert:
x2(dt) - x1(dt) = x2(0) - x1(0) - v*dt
In unserer WAHRNEHMUNG sind die Punkte also zusammengerückt. Um den beschriebenen Geschwindigkeitsgradienten zu erhalten, müssen die Bildpunkte im Randbereich also dichter liegen als im mittleren Bereich.
Hier liegt der Hund begraben: Wir wollen ein WAHRGENOMMENES zylindrisches Geschwindigkeitsfeld? Dann haben wir automatisch eine WAHRGENOMMENE Verzeichnung des Bildes. Eines geht nicht ohne das andere, sonst müsste man die Gesetze der Mathematik ändern. Um dieses Dilemma aufzulösen, ist man gezwungen, eine neue Verzeichnung einzuführen, die mit dem Instrument nichts zu tun hat, sondern ausschliesslich mit der WAHRNEHMUNG. Das erzeugt die folgende Transformation, die ich g nennen werde:
f(x) -> g(f(x))
Nochmals: g hat mit dem Fernglas nichts zu tun, sondern mit der Wahrnehmung. g sorgt dafür, dass das WAHRGENOMMENE Geschwindigkeitsfeld
v(g(f(x))) = d(g(f(x)))/dt
seine Zylinderform erhält. Gleichzeitig, und unvermeidbar, muss diese Transformation auch eine zylinderförmige Verzeichnung des Bildes generieren, denn die Verzeichnung des Fernglases, f(x), ist stets zentralsymmetrisch. Das symmetriebrechende Element liegt also in g, der Verzeichnung unseres visuellen Systems.
Ich wiederhole: Meine Annahme war ein zylindrisches Geschwindigkeitsfeld in der WAHRNEHMUNG, und die notwendige Konsequenz ist eine Verzeichnung des visuellen Raumes, die die Zentralsymmetrie bricht.
Herr Schön kann diese Annahme machen, natürlich, sollte aber auch handfeste Gründe für diese Auswahl angeben. Ich selbst habe in meinem Paper für g eine zentralsymmetrische Funktion gewählt, und zwar nach den Vorgaben der druckfrischen Publikation von Oomes et al. [1]. Ich habe g genau so gewählt, dass es die Resultate aus dem Helmholtz Experiment reproduziert. Meine Wahl für g basiert also auf einer Annahme, und das habe ich in dem Paper auch ausdrücklich klar gemacht:
"... This leads to our fundamental assumption:
Assumption: To each observer, there exists a certain, perhaps individually different, checkerboard that appears undistorted under the experimental conditions as described above."
Nachdem ich diese Annahme gemacht hatte, konnte ich die Funktion g festlegen (Gleichung 8), und damit ein seit 60 Jahren ungeklärtes Problem der Sonnefeld Experimente lösen. Natürlich konnte ich dann auch das Geschwindigkeitsfeld v(g(f(x))) bestimmen (Gleichung 13), und das ergab für den Fall der Verzeichnungsfreiheit (f(x) = x) einen deutlichen Globuseffekt. So gesehen, ist der Globuseffekt, den ich in dem Paper beschreibe, ein Nebenprodukt der Helmholtzexperimente.
Ich hoffe, dass ich den geduldigen Leser davon überzeugen konnte, dass es sich hier um echte Wissenschaft, und nicht Pseudowissenschaft handelt, wie von Herrn Schön behauptet. Ich lasse ihm selbstverständlich die Freiheit, seine eigenen Annahmen zur Wahrnehmung des Globus/Zylindereffekts zu machen (eine Freiheit, die er mir offenbar nicht zugestehen will). Ich würde es begrüssen, wenn er diese Anschuldigung der Pseudowissenschsft zurücknehmen würde, und stattdessen ein alternatives, funktionierendes Modell vorschlagen und publizieren würde, damit die wissenschaftliche Gemeinschaft, und nicht Herr Schön allein darüber urteilen möge, welcher Ansatz erfolgversprechender ist.
[1] A.H.J. Oomes, J.J. Koenderink, A.J. Doorn, H. de Ridder,
"What are the uncurved lines in our visual field? A fresh look at
Helmholtz's checkerboard", Perception 38, pp. 1284-1294 (2009).
Holger Merlitz