Die Frage, ob bei der subjektiven Wahrnehmung der Winkel- oder der Bildraum massgebend ist, wird schon seit vielen Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Als ich vor kurzem auf Albrecht Koehler's Webseite die Arbeit von Sonnefeld von 1949 fand, da wurden mir mehrere Punkte zu diesem Thema deutlicher, auch, warum wir beide die Abbildung im Fernglas stets unterschiedlich interpretieren. Hier die Referenz zu diesem interessanten Artikel:
www.akoehler.de/basics/Verzeichnung/document008.pdf
Sonnefeld schreibt auf Seite 97, rechte Spalte (oben):
"Die grundsaetzliche Frage ist zunaechst folgende: Ist beim
subjektiven Gebrauch der optischen Instrumente fuer die Verzeichnung
das Tangentenverhaeltnis von augenseitigen und dingseitigen
Hauptstrahlwinkel massgebend oder das Winkelverhaeltnis dieser
Winkel?".
Dies ist nichts anderes als eine Umformulierung unserer Frage: Nehmen wir beim subjektiven Gebrauch den Bild- oder den Winkelraum wahr?
Wie Sonnefeld auch schreibt, taucht diese Frage bei der Kameraabbildung nicht auf, weil hier der Bildraum direkt auf eine (flache) Fotoplatte abgebildet wird. Beim Auge ist eine solche Abbildung jedoch nicht selbstverstaendlich. Wie genau die Abbildung hier funktioniert, kann aber nicht mit Papier und Bleistift, sondern muss experimentell geklaert werden. Es ist deshalb kein Wunder, dass sich bereits damals zwei unterschiedliche Schulen herausgebildet haben: Die traditionelle "Abbesche Schule", die laut Sonnefeld auch Boegehold vertrat, und in der die Augenabbildung analog zur Kameraabbildung betrachtet wird. Es ist offensichtlich, dass auch Du dieser Schule angehoerst.
Die andere Schule, die als "Anhaenger der Konstanz des Winkelverhaeltnisses" auftrat (S. 98, linke Spalte, Mitte), wurde u.a. von Tscherning, Weiss, und auch Sonnefeld vertreten. Slevogt hingegen hat versucht zu begruenden, warum das Auge nicht Winkelabstaende, sondern Abstaende gemaess der Kreisbedingung wahrnimmt. Allerdings sind die Abbildungseigenschaften gemaess der Kreis- und Winkelbedingung schon sehr aehnlich, und daher duerfte es nicht ganz einfach sein, zwischen beiden Ansaetzen experimentell zu unterscheiden. Hier ist das Slevogt Papier, ebenfalls auf Koehler's Seite zum Herunterladen:
www.akoehler.de/basics/Verzeichnung/document008.pdf
Viele Details zu diesem Thema lassen sich in den erwaehnten Artikeln nachlesen, und ich werde daher darauf verzichten, die unterschiedlichen Standpunkte im Detail zu diskutieren. Belassen wir es einfach dabei, dass wir unterschiedlicher Auffassung sind, was die Abbildungseigenschaften des Auges anbetrifft. Ich masse mir auch nicht an, Deine Sichtweise als voelligen Unsinn zu bezeichnen, und ich bitte darum, abweichende Meinungen zu respektieren. In der Wissenschaft ist das eine Tugend, denn man kann nie wissen, wozu ein alternativer Ansatz, der einem momentan unsinnig erscheint, noch mal gut sein wird. Ich bin jedenfalls davon ueberzeugt, dass die subjektive Abbildung des Auges eine zusaetzliche Perspektive einfuehrt, die ich etwas abstrakt als Winkelraum bezeichnet habe, und die dazu fuehrt, dass wir den Bildraum nicht eins-zu-eins wahrnehmen wie eine Kamera. Ich zwinge niemanden dazu, meiner Argumentation zu folgen. Ich habe stattdessen auf meiner Webseite demonstriert, dass dieser Ansatz diverse beobachtbare Phaenomene in Bezug auf Verzeichnung und Globuseffekt zwanglos erklaert. Was ich dort darstelle, kann man am Fernglas ausprobieren, und dann selber entscheiden, ob es Unsinn ist oder nicht.
Viele Gruesse,
Holger Merlitz