Ihre Fragen „Wieso funktioniert es denn bei ..." verstehe ich nicht. Was meinen Sie den mit „es“? Auch beim 10x42 L IS WP funktioniert die Bildstabilisierung, sogar hervorragend! Es funktiniert auch die Scharfeinstellung, die Dioptrienkorrektur, die Augenweiten-Einstellung usw. Was soll denn nicht funktionieren? Ich hatte lediglich bemängelt, daß die im freien Durchmesser zu klein gewählten Vari-Angle-Prismen den Strahlenkegel vom Objektiv zur Sehfeldblende so vignettieren, daß sich eine effektive Öffnung von nur 37 mm statt 42 mm ergibt, aber nicht behauptet, daß irgend etwas nicht funktioniere.
Beim Canon 10x42 L IS WP hat vor dem Objektiv ein Schutzglas (planparallele Glasplatte) mit 44,4 mm freier Öffnung. Je nach Einstellentfernung ca. 5 mm bis 15 mm hinter dem Schutzglas befindet sich die Frontlinse des drelinsigen Objektivs, das sich als komplette Einheit beim Fokussieren in axialer Richtung verschiebt (es wird also nicht wie bei Leica, Nikon, Swarovski oder Zeiss eine Fukussierlinse negativer Brechkraft hinter dem feststehenden Objekt verschoben). Von der letzten der drei Objektivlinsen aus kann man mit deren Durchlaßfläche als Grundfläche einen gedachten Kegelstumpf zur Sehfeldblende mit deren Durchlaßfläche als Deckelfläche bilden. Dieser Kegelstumpf ist die einhüllende Fläche aller theoretisch am Bildaufbau beteiligten Lichtstrahlen zwischen Objektiv und Sehfeldblende. Dieser Kegel verjüngt sich nach hinten. Zwischen der dritten Objektivlinse und der Eintrittsfläche des Porro-II-Prismensystems, etwas näher am Objektiv als am Prisma, befindet sich das Vari-Angle-Prisma. Das müßte einen freien Durchmessser haben, der so groß wie der oben erwähnte Kegelstumpf an der betreffenden Stelle zuzüglich einer kleinen Reserve für die maximale Auslenkung des Bildstabilisiersystems ist. Tatsächlich aber ist dieser freie Durchmesser aber deutlich kleiner und reduziert daher die effektive Objektivöffnung auf nur noch 37,5 mm, also um 4,5 mm gegenüber dem Nennwert von 42 mm.
Sie sagen „Wieso funktioniert es denn bei meinem 15x50?“. Auch hier muß ich wieder fragen, was Sie mit „es“ meinen. Ob auch bei Ihrem 15x50 IS eine solche Reduzierung eintritt, kann ich zur Zeit nicht feststellen, da ich kein solches Modell mehr besitze (ich habe mein 15x50 IS schon vor ca. 2 Jahren verkauft). Messen Sie doch einfach die Größe der Austrittspupille nach. Sie müßte 50 mm : 15 = 3,33 mm groß sein. Ist sie kleiner, dann haben Sie das gleiche Problem. Ist sie nicht kleiner, dann hat das 15x50 IS ausreichend große Vari-Angle-Prismen. Aber alles das hat mit „funktionieren“ nichts zu tun, denn das Fernglas funktioniert natürlich auch dann, wenn das Vari-Angle-Prisma vignettiert. Nur die AP wird kleiner und damit die Dämmerungs- und Nachttauglichkeit verschlechtert.
Warum Sie das Zeiss 20x60 S ins Spiel bringen, verstehe ich auch nicht, denn dieses arbeitet völlig anders und hat gar keine Vari-Angle-Prismen, die vignettieren könnten.
Es könnte durchaus sein, daß beim 15x50 IS größere Vari-Angle-Prismen eingebaut sind und es deshalb ein wenig träger reagiert. Die Bildstabilisierung des 10x42 L IS WP ist in der Tat präziser als die des 15x50 und erst recht als die des 18x50, bei dem man den Eindruck hat, als ob die Bildstabilisierung von dieser Vergrößerung schon überfordert sei. Es könnte aber auch sein, daß die Vari-Angle-Prismen beim 15x50 IS weiter hinter dem Objektiv eingebaut sind, wo er Strahlenkegel schon etwas schlanker ist, um mit kleineren Vari-Angle-Prismen eine zu große Trägheit des Systems zu vermeiden. Das aber hätte zur Folge, daß dann der Winkelbereich der Zitterkorrektur kleiner würde. Leider liegt mir dazu keine Herstelerangabe vor., Fürs 10x42 L IS WP gibt Canon ±0,8° an; vielelicht finden Sie in der Bedienungsanleitung Ihres 15x50 IS eine Angabe?
Sie sagen, daß Ihr Canon horizontal besser als vertikal arbeitet. Leider drücken Sie sich auch hier zu ungenau aus. Meinen Sie, daß es 1. horizontales Zitteren besser ausgleicht als vertikales, oder meinen Sie, daß es 2. besser stabilisiert, wenn man es für horizontnahe Beobachtung waagerecht hält, als dann, wenn man es für zenitnahe Beobachtung senkrecht hält? Um Fragen präzise beantworten zu können, müssen die Fragen präzise gestellt werden. Ich vermute, daß Sie Fall 1 meinen. Das kann nicht ohne genauere Untersuchung, eventuell sogar das Zerlegen Ihres Fernglases beantwortet werden. Es könnte sein, daß es ein individueller Fehler Ihres Exemplars ist. Es könnte sein, Sie horizontal mehr zittern als vertikel. Es könnte sein, daß Canon für die horizontale und vertikale Zitterkorrektur unterschiedliche Dämpfungscharakteristika gewählt hat, etwa deshalb, damit beim Verfolgen fahrender Autos oder laufender Tiere oder beim Abscannen einer Landschaft (was alles horizontale Bewegungen sind) ein geringerer Nachzieheffekt auftritt. Aber ich kann als Ferndiagnose nur Vermutungen äußern.
Walter E. Schön