Hallo Herr Schön,
mit viel Freude und Spass habe ich ihre ausfühliche Stellungnahme (oder Statement...) gelesen. Ich finde soetwas gehört durchaus hierher, denn gleichwohl wir uns hier eigentlich über Optik unterhalten sollten, sind wir ja keine Fachideoten.
Auch wenn es Sie nun verwundern sollte, Ihre Argumente verstehe ich absolut und unterstütze Diese auch grösstenteils! Vor allem die Tatsache, dass "wir" zunehmend unsere Deutsche Sprache (die Sprache der Dichter und Denker?) zunehmend verleugnen oder uns ihrer anscheinend sogar schämen, befremdet mich zuweilen sehr! Auch dies ist wohl "typisch Deutsch" im negativen Sinne. Wie ist es auch sonst zu erklären, dass man sich ungestraft Songs in englischer Sprache anhören darf, deren Texte an Blödsinnigkeit oft kaum zu überbieten sind, während hingegen vergleichsweise gute Texte in Deutscher Sprache schnell als Schnulzig (oder "uncool") abgetan werden. Oder diese schicken Anglizismen, mit denen Politiker oder Firmenmanager ihre Reden ausschmücken, um damit oftmals nur über die Gehaltlosigkeit ihres Geschwafels hinwegzutäuschen versuchen (ich muss wirklich zugeben, dass ich erst in Ihrem Beitrag verstanden habe, was der Begriff "Roadmap" wirklich bedeutet...).
Andererseits lebt die Sprache ja auch und ist somit einer gewissen Weiterentwicklung unterworfen. Und dass sich fremde Sprachen von aussen in die Muttersprache einmischen, ist nicht neu. Sogar bei Dialekten gibt es soetwas. so hat sich in Köln zur "Franzosenzeit" vieles aus dem Französischen in den Kölschen Dialekt eingebracht. Und da gibt es wirklich herrliche Wortschöpfungen, wie z.B. "Fisternöllche" für (heimliches) Verhältnis, oder "malätzich" für kränkelnd u.s.w.
Und zum "Sie":
Ich finde es zunächst sehr angenehm, dass man sich in diesem Forum hier meist mit "Sie" anredet, auch wenn dies eher eine Ausnahme in der deutschen Internetforenlandschaft darstellt. Das schafft klare Verhältnisse. Ich fände es schon komisch, wenn ich den Chef (oder "Administrator"?) hier mit "Hallo Werner" anreden sollte und dann kurz darauf ganz real in seinem Laden dem Herrn Dr. Jülich gegenüberstehe.
Trotzdem trägt diese "Du und SIE" - Geschichte meiner Meinung nach einen guten Teil zu der sprichwörtlichen "steifen Deutschen Mentalität" bei. Gott sei Dank sind die Zeiten lange vorbei, in denen man sogar seine Eltern siezen musste, aber ich finde es auch heute noch eigentlich ein Unding, wenn man sich in der angeheirateten Verwandtschaft mit "Sie" anredet, oder (schlimmer noch) wenn die Verhältnisse wie in meinem Fall ungeklärt sind und man dann in der Folge beginnt, sich um Anreden herumzudrücken! Die Eltern des Mannes meiner Schwester duzen mich wie selbstverständlich und reden mich mit meinem Vornamen an. Aber ich habe Hemmungen Gleiches zu tun wenn das nicht ausdrücklich von der Gegenseite gewünscht ist, denn die "Gegenseite" ist eben eine ganze Generation älter als ich. Und da man sich auch nicht allzuoft sieht, hätte ich Probleme, meinen "Schwiegervater" einfach mit "Jochen" anzusprechen. Andererseits schlägt bei mir auch langsam das "Melatenblond" durch die Kopfbehaarung durch (Melaten = grosser und bekannter Kölner Friedhof, weshalb der Kölner "grauhaarig" oft mit "Melatenblond" bezeichnet...), will sagen, so ganz jugendlich bin ich auch nicht mehr, und da finde ich von meiner Seite ein einseitiges siezen und duzen unpassend. Mir sind solche Situationen, wie ich sie auch schon bei anderen Gelegenheiten ähnlich erlebt habe, sehr sehr unangenehm und dieses trägt auch nicht gerade zu einem ungezwungenen Verhältnis bei. Da ist dann auch die ältere Generation in der Pflicht, Klarheit zu schaffen, was sie aber meiner Erfahrung nach nicht immer tut.
Deutsche Siez- und Duzkultur, schön und gut, aber ich habe sie in dieser Beziehung oft verwunschen. Da gefallen mir die Gebräuche unserer südlichen und östlichen Nachbarn wesentlich besser, wo man sich angeblich nach dem Polterabend, allerspätestens aber nach den Hochzeitsfeierlichkeiten unter allen angeheiratetnen Verwandten nunmehr als grosse Familie sieht und sich dann auch entsprechend ungezwungen verständigt. Wenn ich dagegen eine "typisch deutsche" Hochzeitsgesellschaft sehe, wo sich die (zukünftige) Verwandtschaft oft steif im schwarzen Anzug und mit einem unterschwelligen Mistrauen gegenseitig beäugt... Wenn aus weissen Hemdskragen ein knallroter Kopf herausragt, sei es, weil die enge Kravattenbindung für gewisse Blutstauungen sorgt oder weil der arme Mensch die krampfige Situation ohne alkoholiche Getränke nicht aushält (oder beides)... Das ist nicht wirklich meine Welt.
Gut - das war jetzt vielleicht etwas überzeichnet, aber ich finde, auch Teile einer gewachsenen Kultur muss man kritisch sehen dürfen. Das heist ja nicht, dass woanders alles besser ist.
Viele Grüsse:
Th.Becker