Hallo Herr Green,
der Anlaß, der mich zu meinem Erklärungsversuch gereizt hat, ist die seit Einführung der Design-Selektion-Reihe irreführende Zeissreklame. Die Aussagen bezüglich Farbreinheit sind einfach visuell nicht nachvollziehbar (dazu mehr später).
Für meine Ausführungen habe ich mich auf den Standpunkt gestellt, dass die Werbeaussagen technisch nachvollziehbare, sachliche Informationen sind. Dass dem nicht so ist (spezielle Dämmerungsvergütung für blau, keine Farbfehler), ist ganz offensichtlich und wird ja von Ihnen und den Transmissionswerten der von Ihnen angegebenen Quelle unterstrichen.
Bevor ich Ihnen in einzelnen Punkten widerspreche, möchte ich ein durchaus positives Resumee ziehen, das auch deutlich macht, wo die Probleme bei einem visuellen Vergleich von Spitzengläsern der großen Drei liegen.
Das Victory 8x56 ist ein Glas mit beispiellos großer Gesamttransmission und mit einem ebenso beispiellos großen, realen Gesichtsfeld. Hier liegt sicher die Crux aller Vergleiche. Es gibt einfach z.B. von Leica kein vergleichbares Fernglas. Die 12% größere Öffnung in Kombination mit dem 15% größeren realen Sehfeld gegenüber einem Leica 8x50 muß einfach eine gravierende Verschlechterung der Bildqualität zur Folge haben (das kennt man ja auch bei fotogr. Objektiven), der man dann etwa durch vierlinsige Objektivkonstruktionen gegensteuern muß.
Den Eindruck eines Superachromaten hinterläßt das Glas nicht. Man hat nicht einmal das Gefühl, dass hier Apochromasie oder Halbapochromasie im Spiel ist. Was das Glas hier bei Tageslicht leistet, konnte Beck oder Hertel & Reuss vor 40 Jahren auch schon fast.
Jedenfalls liegt es diesbezüglich hinter Leica. Das gleiche gilt für die Spektive mit ihrem "FL".
Ich räume aber Folgendes ein: wäre das Victory, bei gleicher Technologie, ein 8x50 mit ebenfalls 115m Gesichtsfeld, dann hielte ich es nicht für unwahrscheinlich, dass ein Leica 8x50 das Nachsehen hätte.
Die Dämmerungseignung des Victory 8x56 steht für mich aufgrund der großen EP und der hohen Gesamttransmission außer Frage. Diese hohe Transmission der (Tageslicht)-Vergütung läßt wohl auch noch genügend Raum für sichtbare Vorteile in der Dämmerung. Das die Art der Vergütung der des Spektivs entspricht glaube ich gerne. Offen bleibt, ob Zeiss alle Linsenflächen mit den gleichen Schichten versieht, was eher unüblich ist.
Bei einigen Punkten möchte ich die Stichhaltigkeit Ihrer Aussagen bezweifeln:
Geht man wirklich von tiefer Dämmerung aus (d.h. Stäbchensehen, kein scharfes Bild mehr möglich, 30% Steigerung des Bewegungsempfindens), dann spielen die Filtereffekte aus der SW-Fotografie keine Rolle mehr. Abgesehen davon, dass Film und Retina völlig verschieden auf Farben reagieren, hat man bei solchen Lichtverhältnissen nur noch blaues, gestreutes Licht. Wenn man diesem Streulicht den Beleuchtungseffekt abspricht, dann ist es für das Auge zappendüster. Unter solchen Umständen bringen Gelb-, Orange- oder Rotfilter nur noch eine massive Lichtdämpfung (visuell und fotografisch) und sonst garnichts. Um mit diesen Filtern den gewünschten Effekt zu erzielen, muß es schon deutlich heller sein. Auch müssen im Gesamtspektrum noch alle Farben in nennenswertem Maße vorhanden und halbwegs gleichmäßig verteilt sein. Diese Filter verstärken ja keine Farbe, sondern absorbieren Teile des Spektrums.
Diese Art von Dämmerung findet man in unseren Breiten nur noch in sehr dichten Wäldern, die jedes Kunstlicht und den Himmel abschirmen (wegen der Helligkeit, aber vor allem wegen des Spektrums).
Warum bin ich von tiefer Dämmerung ausgegangen? Weil nur hier die marginalen Unterschiede verschiedener Fabrikate an der Grenze von "noch etwas sehen" und "nichts mehr sehen" deutlich werden. Ganz klar ist, dass ein Vergleich bei gerade eintretender Dämmerung ganz andere Ergebnisse zeigen kann und wird (habe ich noch nicht gemacht).
Zum Schluß haben Sie wieder meine volle Zustimmung. Das Thema ist schwierig, heikel und auch akademisch, denn Stäbchensehen macht wirklich keinen Spaß. Ich bezweifle auch sehr stark, daß man sich in den Entwicklungsabteilungen der heutigen Optikfirmen über solch ein Nischenthema so tiefschürfende Gedanken macht. Optik und Vergütung liegen im Bereich der Betriebsgeheimnisse. Die Verpackung = mechanische Ausführung macht laut meiner Anfrage bei Zeiss und Leica 65-75% der Herstellkosten aus. Dann weiß man auch, wo die Schwerpunkte in der Entwicklung liegen.
Walter Wehr