Lieber Herr Champollion,
Ihr Bauer-ED-Fernglas ist bereits vorgestern eingetroffen.
Die Größe entspricht ziemlich genau der des Leica Ultravids 8x32, das Gewicht (ohne Deckel und Trageriemen) wird von meiner Digitalwaage mit 473 g angezeigt.
Auf den ersten Blick ist der Eindruck gut. Die Gummihülle sieht gut aus und fühlt sich gut an. Die Fokussierwalze und der Drehring zur Dioptrienkorrektur haben allerdings auf dem Umfang eine im Design zur schnörkellosen Gehäuseverkleidung nicht optimal passende Rillenstruktur, die an die Drehringe von Fotoobjektiven der 50er- und 60er-Jahre erinnert und so heute nur noch von Cosina bei den "Voigtländer"-Objektiven verwendet wird.
Der typisch chinesische Gummigeruch war nur sehr schwach wahrzunehmen und ist in den drei Tagen, die das Fernglas ausgepackt auf meinem Schreibtisch lag, noch schwächer und kaum wahrnehmbar geworden (oder habe ich mich nur daran gewöhnt?).
Das Einblickverhalten ist für mich mit Brille bei eingedrehten und ohne Brille mit ganz heraugedrehten Augenmuscheln gut. Ich kann in beiden Fällen das volle Sehfeld überblicken. Die Raststufe in der Mitte hätte sich der Hersteller sparen können, weil sie für Brillenträger schon viel zu weit draußen und für Nichtbrillenträger noch nicht weit genug draußen ist. Beim Fokussieren fiel mir dann die "falsche" Drehrichtung der Fokussierwalze auf, also nach rechts für die Nähe und nach links für die Ferne. Die Fokussierung ist grob geschätzt ca. 80% langsamer untersetzt als beim Leica Ultravid 8x32 HD und etwa 30% langsamer als beim Swarovski EL 8x32.
Die Transmission liegt gut erkennbar unter der dieser beiden Vergleichsgläser, ist aber für ein Fernglas dieser Preisklasse nicht schlecht. Der Farbton ist ziemlich neutral mit einem Hauch Bräunlich-Magenta.
Die Naheinstellung reicht nur bis ca. 3,6 m, also nicht das richtige Fernglas, wenn man z.B. auch Libellen, Hummeln und Schmetterlinge beobachten möchte.
Die Bildschärfe fand ich im Zentrum zunächst gut, aber als ich dann zum Vergleich die beiden genannten Ferngläser auf dieselben Motive richtete, war nicht nur der optimale Scharfeinstellpunkt viel leichter und schneller zu finden, sondern auch das Bild brillanter. Als ich dann, als die Sonne wieder für einige Minuten durch ein Wolkenloch kam, im Gegenlicht auf eine schattige blühende Kirschlorbeerhecke schaute, wurde dieser Unterschied noch viel deutlicher. Dabei fiel mir im rechten Rohr ein schwächerer Kontrast als im linken auf (wie eine sehr schwache milchige Trübung), auch wenn ich das Fernglas um 180° um die Längsachse gedreht, also mit linkem Rohr am rechten Auge und rechtem Rohr um linken Auge benutzte. Im rechten Rohr fiel mir auch ein ungewöhnlich nah am Zentrum einsetzender deutlicher Schärfeabfall nach rechts und rechts unten auf.
Beim linken Rohr ist das Bild bis zu einem Radius von ca. 55...60% des maximalen Radius scharf und wird dann zum Rand hin immer schneller unscharf. Die Unschärfe setzt also viel früher ein als bei den Top-Ferngläsern und wird am Rand viel stärker. Sie ist durch Nachfokussieren großenteils behebbar, also weitgehend auf Bildfeldwölbung zurückzuführen. Es ist aber auch ein deutlicher Astigmatismus im Spiel, denn radial verlaufende Randstrukturen werden viel unschärfer als tangentiale.
Im rechten Rohr ist das prinzipiell ebenso, aber hier scheint irgend ein optisches Bauelement verkantet zu sein, denn nach rechts und rechts unten (Hauptrichtung 4 Uhr) beginnt die Unschärfe schon bei ca. 40% Bildhöhe und erreicht am Rand ein erhebliches Ausmaß. Diese Asymmetrie des Bildes im rechten Rohr wäre für mich selbst dann ein zweifelsfreier Reklamationsgrund, wenn ich nur Wert auf gute Schärfe im Bereich der Mitte legte und Randunschärfe an sich nicht beanstandete.
Bei der Suche nach Farbsäumen erwies sich dagegen die Bezeichnung "ED" als gerechtfertigt, denn sie waren nicht stärker, vielleicht sogar etwas schwächer als bei meinen beiden Vergleichsferngläsern von Leica und Swarovski. Leider stand mir kein Zeiss Victory 8x32 FL zum Vergleich zur Verfügung. Allerdings war die Farbe der Säume etwas anders. Während bei Leica und Swarovski dunkle Äste im Randbereich gegen weiße Wolken an der zur Sehfeldmitte zeigenden Kante gelbgrüne und auf der nach außen weisenden Kante violette Säume zeigten, waren die des Bauer-Fernglases zur Mitte hin grün (kühler, weniger gelb) und zum Rand hin magenta (weniger blau, mehr rot).
Beim Messen des scheinbaren Sehwinkels kam dann noch eine Überraschung. Ich maß für das linke Rohr 59,1° und für das rechte 60,4° (jeweils ±0,3°). Einen so großen Unterschied zwischen links und rechts habe ich noch bei keinem anderen Fernglas festgestellt.
Da Sie meinten, daß das Sehfeld dieses Fernglases ebenso groß oder gar größer sei als das des Zeiss Victory 8x32 FL, und weil Sie Zweifel an der Herstellerangabe von 132 m auf 1000 m äußerten, habe ich dann auch die Sehfeldgröße gemessen. Auch hier zeigte wieder das rechte Rohr mehr als das linke, was ja aufgrund der SSW-Messung zu erwarten war. Links maß ich ca. 133,6 m und rechts zunächst 136,8 m auf 1000 m und dann an anderem Ort mit längerer Messstrecke links 133,7 m und rechts 136,1 m auf 1000 m. Normalerweise kann ich für diese Messung eine Genauigkeit von besser als ca. ±0,5 m annehmen, aber beim rechten Rohr läßt sich diese Genauigkeit leider nicht erreichen (wie auch schon die um 0,7 m voneinander abweichenden Messwerte zeigen), weil ich dort am rechten Bildrand ein dermaßen unscharfes Bild habe, dass ich die Position der Randes an der Wand, vor der ich gemessen habe, nicht genau genug ausmachen konnte.
Ich denke, dass Sie nun wahrscheinlich enttäuscht sein werden, dass ich zu keinem besseren Urteil gekommen bin. Aber Ihnen hilft ein ehrliches Urteil mehr als ein beschönigendes. Wenn Sie trotzdem dieses Bauer ED 8x32 für Ihre Zwecke und angesichts des sehr viel niedrigeren Preises (als in der Topklasse) für gut genug und geeignet halten, empfehle ich ihnen eine Reklamation wegen der im rechten Rohr deutlichen Asymmetrie mit großer Unschärfe rechts und rechts unten. Wenn Sie im Austausch ein Exemplar bekommen können, das auf beiden Seiten so ist wie dieses Exemplar nur links, dann könnte man von einem angemessenen Preis-Leistungs-Verhältnis sprechen und den Kauf (angesichts des günstigen Preises) durchaus empfehlen.
Mit freundlichen Grüßen
Walter E. Schön