Bis auf eine Fehlinterpretation, die zu Ihrer nachfolgend zitierten falschen Aussage führte, haben Sie meine Überlegung richtig verstanden. Interessanterweise sind Sie nicht allein mit dieser Fehlinterpretation, denn sie wurde bereits zuvor von mindestens einem oder gar von zwei Forumsteilnehmern geäußert. Ich wüßte daher gern, anhand welcher meiner Formulierungen sie zu der Fehlinterpretation kommen, da ich mich dann gern bemühen würde, meinen Text (später für mein Buch) an dieser Stelle unmißverständlicher zu formulieren.
Zitat:
„Der Außmaß des Zylindereffektes bei Vergrößerung 1 wird als normal empfunden, weil so nach der Geburt erlernt.“
Antwort:
Ich habe
nirgendwo geschrieben, daß es bei Vergrößerung 1 einen Zylindereffekt gibt. Nein, der tritt erst bei Vergrößerungen größer als 1 auf, wenn die Bildpunkt-Verschiebegeschwindigkeiten von denen bei Vergrößerung 1 so stark abweichen, daß es in der Wahrnehmung zu Irritationen kommt. Dabei könnten nur entsprechende Tests darüber Auskunft geben, wo die Ansprechschwelle liegt, d.h. wie hoch die Vergrößerung in Abhängigkeit von der Größe des scheinbaren Sehwinkels sein muß (auch der beeinflußt die Ansprechschwelle!), damit der Beobachter den Effekt als Bildstörung bemerkt.
Wenn ein Zylindereffekt bei Vergrößerung 1 (= ohne Fernglas) nicht existiert, ist es auch gar nicht nötig, einen solchen nach der Geburt als normal zu akzeptieren oder zu erlernen, wie Sie schrieben.
Ich habe nur geschrieben, daß es bei Vergrößerung 1 in jeder zur Schwenkrichtung parallelen Richtung (bei Horizontalschwenk also in der üblicherweise als x-Richtung bezeichneten Richtung) beiderseits der dazu senkrechten Mittellinie eine
ungleiche Geschwindigkeitsverteilung (= ein inhomogenes Geschwindigkeitsfeld) gibt. Die jeweilige Geschwindigkeit eines beliebigen Bildpunktes ergibt sich nach der Formel g(alpha) = v(M)/cos² alpha. Hierbei ist v(M) die Verschiebegeschwindigkeit des Mittelpunks des Sehfeldes und zugleich aller anderen Punkte auf der Mittellinie und alpha der Winkel, um den der jeweils betrachtete Bildpunkt abseits der Mittellinie liegt. Dieser Winkel muß also z.B. bei einem Horizontalschwenk von der Mittellinie aus in x-Richtung gemessen werden und nicht etwa radial vom Mittelpunkt aus.
Dieser spezielle Faktor 1/cos² alpha sieht auf den ersten Blick viel kompliziertes aus, als er ist, und deshalb fällt es vielleicht manchem Leser schwer zu akzeptieren, daß das menschliche Gehirn schon im Kleinkindalter mit trigonometrischen Funktionen umgehen können und diese Funktion als „Normalverhalten“ abspeichern soll. Aber es ist auch hier wieder viel einfacher: Diese Formel ergibt sich nur aufgrund der für meine Beweisführung nötigen Umrechnung von Polarkoordinaten auf kartesische Koordinaten. Tatsächlich beschreibt die genannte Formel im kartesischen Koordinatensystem nichts anderes, als daß sich alle Punkte innerhalb des Sehfeldes mit
derselben horizontalen Winkelgeschwindigkeit verschieben. Das ist ein extrem simpler Zustand, der erst bei Umrechnung in eine lineare Verschiebegeschwindigkeit zu der manchem kompliziert erscheinenden Formel führt.
Was den Zylindereffekt verursacht, ist also
nicht die beiderseits der Mittellinie zunehmende Bildpunkt-Verschiebegeschwindigkeit, sondern die erst bei ausreichend hoher Vergrößerung >1 und ausreichend großem scheinbaren Sehwinkel bemerkbare
Verminderung der Geschwindigkeitszunahme zu beiden Rändern, d.h. die
Abflachung der Kurve, die – wie ich schon mal schrieb – ähnlich wie eine nach oben offene flache Parabel aussieht.
Diese Verminderung läßt sich mit der zweiten von mir genannten Formel
f(n,alpha) = cos² alpha / cos² {arc tan [(tan alpha)/n]}
beschreiben. Auch hier muß der Winkel alpha in Ebenen parallel zur Schwenkrichtung ab der Mittellinie gemessen werden und nicht radial vom Mittelpunkt aus nach außen.
Diese Bewegung beschreibt nunmehr keine gleichmäßige Winkelgeschwindigkeit (die sich im Zähler des obigen Bruchs befindet), sondern eine (aus dem Nenner des Bruchs resultierende) Abweichung, welche die Ursache des Zylindereffekts ist. Weil dort im Nenner sowohl der Winkel alpha als auch die Vergrößerung n auftauchen, hängt es von der Größe dieser beiden Parameter ab, ob der Zylindereffekt bemerkt, also die Ansprechschwelle für das Wahrnehmen der Abweichung überschritten wird.
Ich hoffe, daß mit dieser nochmaligen Beschreibung alles noch etwas klarer wird. Bitte vergessen Sie nicht, mir noch mitzuteilen, wo ich mich evtl. mißverständlich ausgedrückt hätte, so daß Sie zu der zitierten Fehlinterpretation gekommen sind.
Zu Ihrer Aussage über das Merlitzsche Modell nehme ich nicht mehr Stellung, da ich hierzu schon alles geschrieben habe, was ich für nötig halte.
Walter E. Schön